Leseproben




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Beispielbild






Leseprobe Susanne Off

Im Hafen

An Bordwände schwappen Wellen spitz,
feste, kleine Brüste.
Zärtlich, drängende Küsse
schmatzt das Wasser.

Das Schiff an Dalben festgemacht,
wiegt es im immer gleichen Takt.
Ein letztes Boot steckt hinterm Deich.
Schafe liegen faul darnieder.

Du drehst dir deine Zigarette selbst
und sinnst dem schönen Augenblick.
Möwen kreischen liebestoll.
Von den Gezeiten
wird die nächste Fahrt bestimmt.



Das gefallene Schiff

Ein Segelschiff stürzt backbord über
vierzig Grad Krängung einverleibt
das Wasser flieht
und Watt stampft satt daher

Vier Warften strecken sich
aus Mondgefilden
Die Sonne senkt sich matt davor
Nordwestwind ist im Bilden

Sechs Stunden ohne Träume
in denen nur die Möwen ihre Flügel regen
um dann noch weit nach Mitternacht
im Hafen anzulegen
Momentaufnahme

Alle Leuchtfeuer sind erloschen.
Das Nebelhorn tönt nicht mehr.
Schwereloses Erinnern des letzten Törns.
Deine Seele gefangen
auf den Weiten der See,
bist du traurig und weinst,
als könntest du das Meer
bei Ebbe füllen.
Die Flut in deinen Augen
macht dich blind.
Du siehst nicht das Ende.
Heimat ade.



Leuchttürme in meiner Küche

Leuchttürme in meiner Küche.
Das Schiff an Land,
die Seekarten im Rechner,
das Segelkleid im Bettkasten,
die Rettungsleuchte ohne Batterien.

Jeden Monat blättere ich
Leuchtturm für Leuchtturm
den Kalender um
bis zum Wasser.
Die Seekarten kommen an Bord,
das Segelkleid wird angezogen.

Ich sitze in meiner Küche,
starre auf Reste von Schnee.
Vereinzelt singen Vögel im Baum
für mich,
die Knospen locken.
Raus will ich - auf See

 
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Leseprobe Werner Brückner



Warum wir keine Fragen mehr stellen

Fragen gestellt zu bekommen ist unangenehm. Es legt den Finger in die Wunden. Immer ist es ein­facher vermeintliche Lösungen anzubieten. Darum können wir Erwachsenen auch so herzlich la­chen über die Fragen von Kindern.
Ich erinnere mich, wie auch ich seinerzeit eine Frage meiner kleinen Tochter "Was ist, wenn ...?" be­antwortet hatte, sie aber weiter fragte "Und wenn nicht?" - Inzwischen ahne ich die Dimension die­ser Rückfrage.
Denn schon längst kümmert uns Menschheit oft nichts außer uns selber; und wir begreifen selten genug, dass wir uns verloren haben; wie immer austauschbarer, immer unwesentlicher wir geworden sind.
Seit dem Gleichnis der Vertreibung aus dem Paradiese unserer Gier wegen haben wir immer wieder eins drauf gesetzt. Erst nahmen wir "nur" den anderen das Essen weg oder erschlugen sie mit der Keule, schließlich erfanden wir das Maschinengewehr, den Genozid, die industrielle Mast. - Wahr­lich wir sind aus dunklem Stoff gewebt, und die Tünche ist dünn.
Wir meinen, die Dinge sind oder sie sind nicht, - das ist eben so! - Jener hat sich das Leben genom­men, der andere ist Oberarzt geworden, ein dritter geht in die Politik.
Wir stellen nicht mehr die Fragen, was wir selbst aus den "Dingen" gemacht haben, was wir noch alles damit tun und antun werden und warum. Uns selber nicht, den anderen nicht.
Unsere Lebensläufe beschränken sich auf: erst ging ich zum Gymnasium, dann studierte ich, heute bin ich Oberstaatsanwalt, ich habe eine Frau, ein Haus, ein Auto, auch Kinder, es geht mir gut!
Aber: warum ging ich zum Gymnasium, warum habe ich die Rechte studiert, warum bin ich Anwalt geworden, habe geheiratet, warum diese Frau ... ? Erst wenn wir bereit sind, uns das Warum beant­worten zu wollen, wird das Wozu nicht ewig verborgen bleiben.
Wir haben verlernt, Fragen zu stellen, wir begnügen uns mit beliebigen Antworten auf Fragen, die wir längst nicht mehr stellen. So ist unser Leben leicht geworden. Es wiegt nicht mehr viel, es be­deutet nichts. Und wir merken nicht einmal, das wir den Nachkommenden eine zugige Welt hinter­lassen. Keine Höhlen, keine Nester, kein Zuhause!
Und doch hat der Mensch auch ein Vergeben erfunden, ein Sich-selber-schenken, ein Genießen und Glücklichsein, das andere reicher statt ärmer macht! Schönheit, Freude, Liebe - diese wunderbaren individuell menschlichen Leidenschaften -, sie sind schon vor Urzeiten unsere leider recht kleine bessere Seite gewesen.
Allein aber, dass sie möglich ist, dass sie nach dem blutigsten Gemetzel, den größten Verbrechen im­mer wieder aufleuchtet, dass diese andere Seite in der vieltausendjährigen Geschichte nicht zu ver­nichten war, das könnte unsere Existenz rechtfertigen.



Aus: Das Mädchen aus dem Café chantant

...
Weißt du Junge", Tangy knöpfte  seine zweireihige Jacke auf und setzte sich wieder, „auf den Pontons, auf die sie uns gesperrt hatten, als die Commune vorbei war, damit keiner von uns fliehen konnte, da habe ich Jules kennengelernt. Der verstand etwas von Kunst. Ich habe mich gern mit ihm unterhalten. Wenn man nichts zu essen hat, ist ein Gespräch über Kunst sowieso das Beste.
Der sagte eines Tages zu mir, Tanguy sagte er, hast du eine Ahnung von Kunst? Sage mir, worüber soll ein Künstler heute arbeiten, was soll er schaffen? Was verlangt unsere Zeit? Was soll er gestalten?
Versteh mich richtig, Junge, wir waren Kommunarden!
Ich sagte also: Na, was schon? Den Kampf! Den Sieg des Neuen über das Alte, denn haben sie uns auch heute geschlagen, morgen werden wir siegen!
Was fühlst du? fragte er weiter. Ich fühlte Hunger und sagte ihm das
Was noch?
Ich wusste nicht, was er wollte,und druckste etwas herum,dann sagte ich Traurigkeit, Jules! Ich bin unendlich traurig. Es hatte so großartig begonnen.
Siehst du, sagte er, es kommt also nicht darauf an, unsere Parolen zu verkünden, sondern zu sagen, was ist. - Den Eindruck, das Empfinden wiederzugeben. Verstehst du?
Ja, sagte ich.
Oder es bildet einer ab, um abzubilden, sagte Jules noch, das wäre die hohe Kunst.
Ich verstand ihn nicht, aber ich wollte mich nicht blamieren und fragte nicht weiter.
Am gleichen Tag stürzte Jules sich vom Ponton herab ins Wasser. Sie schossen ihn in den Rücken, und er ging unter.
Ich habe viel darüber nachgedacht.
Das Leben der Dinge fühlen machen! Das ist es.“
...
 

Aus:     Ein Abend von Lilien

Drei spaniolische Geschichten (1)

Salomo Gabirol lebte in Saragossa. Er war ein Gelehrter und Dichter, ein Kenner des Hebräischen, des Griechischen und der Sprache der Ismaeliter, die damals über Spanien herrschten.
Über seinen Tod geht folgende Überlieferung um: Der dortige Sachwalter am Hofe al-Mansurs, ein Mann namens Muchtar, der aber nur während der an­genehmen Jahreszeit in Saragossa weilte, hatte von einer kostbaren Perle erfahren, die Gabirol gehörte und aus dem Besitz des berühmten Arztes Isaak Israeli aus Kairuan stammen sollte. Er wollte sie ihm abkaufen und bot eine hohe Summe, aber Gabirol weigerte sich.
Da ließ er Gabirol ein Maß Balsamöl, das damals mit Gold aufgewogen wurde, als Freundschaftsgeschenk senden, und bat ihn, wenn jener die Perle schon nicht verkaufen wolle, sie ihn doch wenigstens ein einziges mal im Rosenlicht der aufgehenden Sonne erblicken zu lassen, und er bitte ihn herzlich und aus Freundschaft am nächsten Morgen in seinen Garten am Flusshang, von wo der Sonnenaufgang köstlicher als von jedem anderen Ort erlebt würde.
Noch vor fünf fand Gabirol sich ein. Die beiden Männer saßen einander auf steinernen Hockern gegenüber und hatten die Köpfe nach Osten gewandt, wo ein lichter Schimmer den Tag anzeigte.
Gabirol langte ein Tuch aus seinem Umhang und legte es auf den Tisch. Die Perle war daumennagelgroß. Vorsichtig nahm er die Perle zwischen Daumen und Zeigefinger und hielt sie gegen das Licht.
Soeben noch matt und grau schien sie jetzt, da die Sonne über den Horizont kam, in tausend Feuern zu zerspringen.
Da sprang der Sachwalter auf und fasste Gabirol derb am Handgelenk:
„Wenn dir dein Leben lieb ist, gib die Perle!“
Es auf ein Handgemenge ankommen zu lassen hatte wenig Sinn, denn es stand von vornherein fest, dass der kampfgewohnte Höfling den Gelehrten besiegen würde.
Gabirol riss sich los und versuchte davon zu laufen, aber der Gewalttätige kam immer näher. Im letzten Moment, bevor dieser ihn am Gewand griff, warf Gabirol die Perle in weitem Bogen den Steilhang hinunter, und niemand kann sagen, ob sie in den Fluss gefallen und von ihm davon gespült worden ist oder ob sie in einem der Kaninchenlöcher, die sich in Fülle am Berg finden, verschwand.
Der Mann wurde überaus zornig, er warf Gabirol zu Boden, setzte ihm das Knie auf die Brust und erwürgte ihn. Mit einem Messer zerstückelte er den Toten und vergrub ihn an einem wilden Feigenbaum, einem Baum wie viele hier in der Landschaft, der nur wenige kleine Früchte trug und schon von weitem kenntlich war durch seinen sparrigen Wuchs.
Aber noch im selben Jahr begann der Baum über und über zu fruchten und hing voller großer prächtiger Feigen, die besonders wohlschmeckend waren.
Das verwunderte die Leute um Saragossa, und der wilde Feigenbaum mit den großen duftenden Früchten wurde das Stadtgespräch; schließlich erfuhr sogar der Kalif in Córdoba davon und war erstaunt.
Er ließ Muchtar rufen und fragte ihn:
„Wie kommt es, dass der wilde Baum in deinem Garten so ungewöhnlich große und süße Früchte trägt?“
Der aber schwieg.
Der Kalif drang sehr in ihn, allein er wollte nichts sagen. Das verdross den Herrscher, und er beschloss, das Geheimnis um jeden Preis zu ergründen.
Unter der Folter gestand Muchtar, den Gabirol getötet und am Fuße des Baumes verscharrt zu haben; seitdem sei der Baum so herrlich gediehen.
Der Kalif gab Befehl, den Mann an diesem Baum zu hängen.
Seitdem, so sagt man, habe der Baum gar keine Früchte mehr getragen. Er sei aber noch stehen geblieben bis zu den schlimmen Verfolgungen des Jahres viertausendachthundertsechsundfünfzig.


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